Dr. Dobellis Dämonen: Krank durch News?

“Nachrichten sind Gift. Sie machen krank, dumm und passiv”. Dieses schlichte Mantra singt seit einiger Zeit der Schweizer Philosoph und Bestseller-Autor Rolf Dobelli (“Die Kunst des klaren Denkens”, “Die Kunst des klugen Handelns”) – erstmals 2011 im Schweizer Monat, zuletzt in Geo (8/2013). In der Branche hat es eine gewisse Popularität erreicht – trotz (oder wegen) seines radikal simplifizierenden Tenors. Ein Mantra, das in der Dobelli-Diät gipfelt: “Lesen Sie keine News!”

“Ich lese seit vier Jahren keine News”, rühmt sich der Erfolgs-Autor und listet auch gleich die wundersamen Veränderungen auf, welche die Nachrichten-Abstinenz mit sich gebracht habe: “Klareres Denken, wertvollere Einsichten, bessere Entscheidungen und mehr Zeit”.

Mag sein; Rolf Dobelli ist zweifellos ein gemachter Mann. Und: Seine Analysen haben tatsächlich einen gewissen Charme, zugleich aber einen mächtigen Pferdefuß: Wer seine “Diät” befolgt, endet als Ich-bezogener, isolierter Gesellschafts-Autist.

Was wichtig ist, wird Sie erreichen, “selbst wenn Sie in einem News-geschützten Kokon leben”, beteuert Dobelli allen Ernstes. Und paraphrasiert damit ein populäres Motiv einer modisch gewordenen Medien-Enthaltsamkeit.

Aber: Unter den Vorzeichen der Dobelli-Diät dürfte politische Meinungsbildung jedenfalls künftig nicht mehr in den Medien stattfinden. Wo aber dann? Die Leute sollen keine News mehr lesen, hören und sehen? Was werden sie dann konsumieren? Noch mehr Game-Shows und Scripted-Reality-Formate?

Wer auf News verzichtet, stellt letztlich das Aktualitätsprinzip als solches infrage. Gut möglich, daß das der geistigen Ökonomie unseres prominenten Autors nutzt. Nur mit welchen Folgen für die Gesellschaft? Entscheidungen fallen dann vielleicht wohlüberlegter. Aber kommen sie noch rechtzeitig? Etwa jetzt, wenigen Wochen vor den Bundes- und Landtagswahlen im Herbst 2013?

Es ist eben die kontinuierliche Beobachtung von Vorgängen in Politik und Gesellschaft in tagesaktuellen Medien, die Informationen und Informiertheit zeitnah generiert. Das schon sprichwörtliche Zögern und Zaudern der Kanzlerin in politischen Fragen wäre gar nicht wahrnehmbar ohne den fortwährenden Blick aufs tagesaktuelle Geschehen. Ebenso wenig das ratlose Dahinstolpern des Herausforderers, das sich nicht zum Guten wenden will.

Der springende Punkt ist: Viele vermeintliche “heisse” Nachrichten von heute sind schon morgen Makulatur. Insoweit hat Dobelli Recht. Doch auch anscheinend “sicheres” Wissen wird in wenigen Jahren zu einem grossen Teil veraltet sein, widerlegt und überholt. Das Drama ist: Wir wissen heute noch nicht, welcher Teil das sein wird. Heißt: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, was wir heute erfahren können. Ob es wichtig war, wissen wir erst morgen.

Interview bei DRadio Wissen (“Was mit Medien”, 8.8.2013) zu Rolf Dobelli, zu “guten” Nachrichten und Storytelling in der Nachrichtenarbeit

2 Kommentare zu „Dr. Dobellis Dämonen: Krank durch News?

  1. So ein Unsinn mit Verlaub. Dobelli sagt nicht: “Informier Dich gar nicht!”, sondern attestiert lediglich zunächst den sogenannten “News” eine nicht vorhandene Nützlichkeit, die eben NICHT dazu beiträgt, gut informiert zu sein, sondern im Gegenteil.
    Um zu argumentieren, dass die täglichen Nachrichten bei der ernsthaften Bildung, auch der politischen, mithelfen, sollte erst nachgewiesen werden, ob diese überhaupt dazu imstande sind, dies zu tun. Was ich persönlich bezweifel. Gerade als Volkswirtschaftler sehe ich, dass tägliche Nachrichten über die Wirtschaft weitestgehend sinnlos sind, weil die Wirtschaft gar nicht so schnell relevante Informationen produziert, die Neues bedeuten. Ähnliches gilt für die Politik, da diese viel zu träge ist, um das Informationsbedürfnis Sinn stiftend jeden Tag zu bedienen. Wie oft wird denn zum Beispiel von Konferenzen berichtet im Gegensatz dazu, was sie für Ergebnisse haben?

    Konstruktive Grüße

    C. Hanschmann

  2. Stimme meinem Vorredner zu. Es geht um die Frage der Tiefe und des Erklärens vs. Verkürzung und Simplifizierung. Und ja, ich denke schon, dass es eine Auswirkung auf die Risikoeinschätzung und das Lebensgefühl der Menschen hat, wenn jeder größere Unfall weltweit berichtet wird und die Nachrichten stündlich Tote zählen. Z.B. sind Eltern heute viel ängstlicher bezügl. ihrer Kinder als früher, weil Unglücke mi Kindern ständig in den Medien sind; tatsächlich ist das Risiko aber nicht gestigen.

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