Bessere News mit Storytelling

Müssen Nachrichten “schwierig” klingen? Oder können sie den Hörer vom ersten Wort an mitnehmen in die Geschichte? Die klassische Machart von Radio-Nachrichten (“inverted pyramid”) ist für viele Hörer zu komplex. Sie setzt voraus, diese Form quasi “gelernt” zu haben. Der Staplerfahrer aus Gelsenkirchen oder die Standlfrau vom Münchner Viktualienmarkt – können sie umgehen mit der auf dem Kopf stehenden Pyramide? Alternative Erzählformen machen es dem Hörer leichter und sind einladender, einer Nachrichtenstory zu folgen…

Etwa das sogenannte “Storytelling”, das in Radionachrichten praktisch noch gar nicht genutzt wird. Dabei handelt es sich um eine Technik, Stoffe so zu arrangieren, dass sie vom Publikum ganz natürlich aufgenommen werden können – weil sie Erzählmuster nutzt, die seit Menschengedenken funktionieren.

Storytelling heißt, Stoffe zu personalisieren und an einem “Helden” entlang zu erzählen (“Heldenreise”). Sie ist die typische Erzählweise u.a. im Kino. Angehenden Hollywood-Drehbuchautoren ist die Heldenreise ein vertrautes, lehrbuchmäßig vermitteltes Prinzip, eine Story erfolg-reich an den Mann/die Frau zu bringen.

Ein schönes (und seltenes) Beispiel, wie Storytelling in Radionachrichten funktionieren kann, zeigt ein Mitschnitt aus NRW. Er stammt von Radio Kiepenkerl, dem Lokalradio im Kreis Coesfeld (und NRW-Reichweiten-gewinner lt. E.M.A. NRW 2013 I)).

Die Meldung (19.3.2013, 17.30 Uhr) behandelt eine Konsequenz aus dem Rechtsanspruch unter 3-jähriger Kinder auf einen Kindergartenplatz ab August 2013. Nämlich dass die Kindergärten, um diesen Rechtsanspruch bedienen zu können, alle Plätze für die Kleinsten reservieren und Kinder über 3 Jahren leer ausgehen…

Das Beispiel “Storytelling” startet nach den überregionalen Schlagzeilen…

Was ist hier neu und überaus geschickt realisiert? Sehen wir einmal von dem recht komplizierten Antext zum O-Ton ab…

Nicht die “papierene” Äußerung eines politischen Akteurs (Behörde, Gewerkschaft o.ä.) ist Auslöser und Aufhänger der Geschichte (per E-Mail, Fax oder Brief auf den Redaktionstisch geflattert). Sondern der Anruf einer Hörerin (solche Hörer bekommt nur, wer sich ernsthaft, glaubwürdig und nachhaltig um das kümmert, was den Menschen unter den Nägeln brennt).

Das Thema wird mit dem Anliegen einer Radio Kiepenkerl-Hörerin im OO eröffnet (sie ist quasi der “Held”) und anschließend “hart” gemacht (R-Ton Recherchebericht). Rund wird die Geschichte am Ende durch den Sprung zurück zur Hörerin – eine “Heldenreise” im Mikro-Format.

Und wie “nachrichtlich” ist diese Arbeit? Sie ist nachrichtlich im besten Sinne! Sie erzählt…

  • eine wertige Geschichte
  • von allgemeiner Relevanz
  • an einem konkreten Beispiel
  • auf eine leicht fassliche Weise
  • in einer radiogerechten Form.

Sind das noch Nachrichten? Ich meine: Unbedingt!

Denn es gibt nicht die eine, verbindliche Nachrichten-Form. Was Nachricht ist, ist immer eine Konvention, eine Übereinkunft auf Zeit.

Das heißt: Konventionen können sich ändern, müssen sich ändern. Besser: Müssen sich öffnen für neue, im Einzelfall geeignetere Erzählformen.

Als “Türöffner”, als “Schlüssel” zur Aufmerksamkeit des Hörers, also in erster Linie als Aufmacher-Form ist Storytelling in den News eine neue, wichtige Chance des Radios, überraschend und relevant für den Hörer zu sein!

2 Kommentare zu „Bessere News mit Storytelling

  1. Ohne mich auf das konkrete Kindergarten-Beispiel zu beziehen: Das Storytelling enthält mehr als die klassischen Nachrichten die Gefahr der Manipulation und auch die Gefahr der Parteilichkeit. Deshalb sollte es nicht anstelle von Nachrichten eingesetzt werden.

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